Im Jahre 1985 begann Kai Ortlieb in Heidelberg seine Ausbildung zum Buchbinder im Fachbereich Einzel- und Sonderfertigung. Nach erfolgreichem Abschluss im Jahre 1988 sammelte er fünf Jahre Berufserfahrung in verschiedenen Betrieben. Dabei erhielt er Einblick in die Kunstbuchbinderei, die Buchrestaurierung, die industrielle Buchbinderei und die Bibliotheks- und Sortimentsbuchbinderei. Zuletzt leitete er die Heidelberger Filiale einer namhaften Handbuchbinderei. Es folgte 1993 der Besuch der Meisterschule in Stuttgart und deren Abschluss 1994 – als Kursbester. Im Dezember 1994 wurde die Buchbinderei Kai Ortlieb in Eppelheim als Neugründung aus der Taufe gehoben. Mit alldem passt Ortlieb so perfekt zu alledem, was ich hier vorstellen möchte, dass ich ihm unbedingt einige Fragen stellen musste:
Herr Ortlieb, Stellen Sie sich bitte vor, Sie müssten einem Blinden beschreiben was Sie beruflich tun… Und das in nicht mehr als 5 Sätzen.
Gehen auch vier Worte? Bilder. Buch. Hand! Werk. Wir binden von Hand Bücher, sowohl hoch individuelle Einzelbände als auch schlichte „Gebrauchsbücher“. Wir reparieren und restaurieren alte und schadhafte Bücher. Unsere besondere Spezialität ist die Herstellung individueller Bilderrahmen.
Foto: © https://www.ortlieb-buchbinderei.de
Alle Menschen, die ich für diese Porträt-Reihe ausgewählt habe, sollten zwei Merkmale mitbringen: Handwerk und Kreativität. Aber manchmal neigen Außenstehende (wie ich) ja dazu, das Handwerk zu romantisch zu sehen…. Wie ist das bei Ihnen: Können Sie wirklich kreativ sein?
Kreativität ist nur in engen Grenzen möglich. Und hier auch weniger im gestalterischen Bereich als mehr im handwerklichen. Oftmals gilt es, anspruchsvolle Kundenwünsche so umzusetzen, dass es handwerklich abbildbar ist.
Können Sie mir bitte den Begriff „Handwerk“ definieren – ganz subjektiv, auf Sie und Ihre Arbeit bezogen?
Wie oben schon gesagt: Bilder. Buch. Hand! Werk.
Buchbinderei ist ein Geschäft, das sehr viel Wissen braucht
Was lieben Sie an Ihrer beruflichen Tätigkeit am meisten? Und was an den Produkten, die Sie fertigen?
Sehr viele Produkte sind tatsächlich einzigartig. Streng genommen, ist fast jedes Werkstück, das wir fertigen, ein Einzelstück. Besonderen Spaß machen hochwertige Aufträge, über denen oftmals lang „gebrütet“ werden muss, um den richtigen Weg zu finden, wie sie zu bearbeiten sind. Wenn es dann gelingt, ist das immer ein kleiner Sieg…..
Was ist aus Ihrer Sicht das Gegenteil von „Handwerk“?
Seelenlose Industrieware, die über das Internet oder Kataloge bestellt werden kann.
[ctt title=“Die Buchbinderei ist ‚eine extreme Nischenbranche'“ tweet=“Die Buchbinderei ist ‚eine extreme Nischenbranche'“ coverup=“Q8OBe“]
Wenn Kunden bei Ihnen etwas in Auftrag geben wollen, müssen Sie da vorher viel erklären?
Ja. Es muss immer erklärt und erläutert werden, da die Buchbinderei eine extreme Nischenbranche darstellt. In der kennt sich eigentlich fast niemand aus. Auch bei der Bildeinrahmung ist die Beratung aufwändig. Hier sind Stilkunde, Farbsicherheit und der Sinn für Proportionen gefragt. Das vermitteln wir unsren Kundinnen und Kunden jedes Mal gerne.
Für fast alle handwerklich gefertigten Produkte gibt es ja heute industriell/serienmäßig gefertigte Pendants. Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Ihren Produkten/Ihren Produktions-Wegen und den nicht-handwerklichen Fertigungen?
Unsere Produkte sind äußerst hochwertig und halten im Prinzip ein Leben lang. Notfalls können sie repariert werden. Die Kosten sind zwar deutlich höher als bei einem Industrieprodukt. Dafür werfen wir Individualität, Exklusivität, Haltbarkeit, Produktion vor Ort und soziale Verantwortung in die Waagschale.
Längere Produkt-Lebenszyklen würden Arbeitsplätze schaffen!
Finden Sie, dass es im Deutschland von heute noch genügend handwerkliche Angebote gibt? Und damit meine ich Infos über Berufe und Produkte, Ausbildungs-Angebote, Handwerksbetriebe und die Auswahl an handwerklich gefertigten Produkten für interessierte Kund/innen…
Nein definitiv zu wenig! Der Trend muss weg von industrieller Massenware, die gerade so die Garantiezeit überlebt. Wünschenswert wären „preiswerte“ Produkte, die eine hohe Qualität aufweisen und somit auch reparabel sind. Über den längeren Lebenszyklus rechnen sich diese Produkte und lassen im Handwerk, grade auch durch Reparaturen neuen Arbeitsplätze entstehen. So würde der Mittelstand stabilisiert, und die Gewinne fließen nicht mehr an Konzerne und deren Sharholder-Value.
Schöne Idee: neue Statussymbole….
Wenn Sie für sich und Ihr Handwerk einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Das individuell gebundene Buch oder das individuell gerahmte Bild als Statussymbole!
Vielen Dank, Kai Ortlieb!
Mehr Porträts kreativer Handwerker/innen finden Sie übrigens hier.
Und wenn Sie mich brauchen: Ich bin Ihre kreative Texterin, Buch-Hebamme, Lektorin und mehr. Kontakt maria@texthandwerkerin.de