Für Bea Kahl begann das Berufsleben als kreative Handwerkerin mit einem kleinen Umweg: „Nach einer abgebrochenen Ausbildung zur Erzieherin und ein paar suchenden und ausprobierenden Jahren habe ich von 1987 bis 1989 eine verkürzte, klassische Ausbildung, in einem kleinen Hutgeschäft, zur Modistin als Umschulung absolviert. Also arbeite ich seit fast 30 Jahren in meinem Beruf. 1993 habe ich abends die Meisterschule besucht und 1994 die Prüfung abgelegt. Ich wollte nicht reich werden, sondern an erster Stelle sollte der Spaß an der Arbeit stehen. Ich weiß auch nicht, warum es so lange gedauert hat, bis ich gemerkt habe, das es ein handwerklicher Beruf sein musste, weil ich eigentlich schon als Kind immer gerne etwas aus meinen Händen entstehen ließ.“
Stellen Sie sich bitte vor, Sie müssten einem Blinden beschreiben, was Sie tun…
- Ich fertige funktionelle-, oder auch nur aufhübschende, kunstvolle Kopfbedeckungen für Damen und Herren.
- Dazu ziehe und fixiere ich, unter Einfluss von Wasserdampf, Materialien wie Stoffe, Filz und Stroh auf Holzhutformen auf oder modelliere das Material in der Hand.
- Zu meinem Handwerkszeugen benötige ich unter anderem: Dämpfer, Bügeleisen, Tacker, Zange, Hammer, Schere, Nadel und Faden.
- Schneiden, zusammenfügen, nähen, drapieren, garnieren, bügeln, dämpfen, messen sind nur einige Arbeitsschritte, die nötig sind, um einen Hut fertig zu stellen.
- Ich gehe bei meiner Arbeit auf die Wünsche meiner Kunden (zum Beispiel Form, Farbe, Material, Funktionseigenschaften) ein.
Ist das für einen Blinden? Ich weiß es nicht. Vielleicht eher für einen, der blind geworden ist, nicht für einen, der immer schon blind war…
In welchem Verhältnis stehen in Ihrer Arbeit Handwerk und Kreativität zueinander?
Mein Atelier befindet sich in Solingen in einem Künstlerviertel, das jedes Jahr zwei Feste zu einem bestimmten Thema ausrichtet. Jedes Atelier setzt die Idee mit seinem Gewerk um. Dies ist natürlich immer eine sehr kreative Zeit der eigenen, „auch mal verrückten“ Ideen und deren Umsetzung. Aber natürlich bin ich die meiste Zeit damit beschäftigt, verkäufliche Kopfbedeckungen zu fertigen und Kundenwünsche zu erfüllen.
Außerdem arbeite ich auch an den Wuppertaler Bühnen als angestellte Hutmacherin. Da besteht die Kreativität eher aus der Umsetzung der Ideen der Kostümbildner. Aber auch das ist sehr befruchtend.
Und natürlich hätte ich lieber so viel Geld, dass ich nicht darauf angewiesen wäre Hüte auf- oder um zuarbeiten oder die Ideen anderer umzusetzen. Aber ich finde, ich habe das Glück, einen Weg gefunden zu haben, wo pures Handwerk und Kreativität in einem gesunden Verhältnis stehen.
Können Sie mir bitte den Begriff „Handwerk“ definieren – ganz subjektiv?
Handwerk bedeutet für mich erst mal ganz trocken, das Wissen über die verschiedenen Materialien, das Know-how über deren Verarbeitung und routinierte, geschickte Hände, die all das umsetzen können, was es braucht, um einen bestimmten Hut herzustellen.
Was lieben Sie an Ihrer beruflichen Tätigkeit am meisten? Was an den Produkten, die Sie fertigen?
Nun ja, ich liebe es, aus meinen Händen etwas entstehen zu lassen. Das klingt jetzt vielleicht etwas theatralisch, aber manchmal fühlt es sich an wie eine Geburt. Und dann kann ich mich nicht trennen und mache den Hut so teuer, dass ich mich noch eine Weile satt daran sehen kann.
Ich finde es immer sehr spannend, wie Hüte auf den Menschen wirken und was sie mit ihrer Ausstrahlung machen. Derselbe Hut kann bei dem einen Menschen eher elegant und bei einem anderen eher frech wirken. Wenn ich neue Hüte entwerfe, fungieren meistens meine Arbeitspuppen oder auch ich als Model. Dann finde ich es sehr spannend zu sehen, wie dieser Hut bei einem Kunden wirkt.
Ich versuche natürlich immer, das Besondere mit dem Tragbaren zu verbinden. Das ist oft eine Gratwanderung. Aber ich muss mich ja irgendwie von der Masse abheben, sonst können die Leute auch im Kaufhaus oder im Internet bestellen.
Wenn Kunden bei Ihnen etwas in Auftrag geben wollen, müssen Sie da vorher viel erklären?
Wenn ich einen Auftrag annehme, muss ich dem Kunden erklären, welche Materialien und Fertigungsweisen in Frage kommen. Ich frage dann immer: „Wollen Sie die schnelle, preiswerte oder die Couture-Lösung?“ Was zum Beispiel bedeutet: Alles mit der Hand genäht, oder schnell durch die Nähmaschine gezogen. Um den Preis zu rechtfertigen, muss ich erklären, welche Eigenschaften die Materialien haben. Und welche Eigenschaften sich aus der gewünschten Fertigungsweise ergeben, welche Arbeitsschritte nötig sind.
Wie sehen Sie das Verhältnis zwischen Handwerks-Produkten und nicht-handwerklichen Fertigungen?
Kleine Handwerksbetriebe, meistens Inhabergeführte Geschäfte, müssen sich von der Masse abheben und durch besondere Produkte, zum Beispiel durch Design, Materialqualität und/oder gute Verarbeitungsweise das Individuelle herausheben. Angefertigte Produkte gehen auf die Besonderheiten und Wünsche jedes einzelnen Kunden ein, deshalb ist der Tragecomfort auch besser.
Aber die Zulieferer von Hutmacherware liefern immer schlechtere Ware zu teureren Preisen, so dass es immer schwieriger wird, gute Qualität zu bezahlbaren Preisen herzustellen. Dadurch wird auch die Marge geringer, was das Überleben von kleinen Betrieben immer schwieriger macht.
Dann gibt es auch industriell gefertigte Hüte, die auf gute Materialien, gute Verarbeitung und menschenwürdige Herstellungsweisen Wert legen, aber keine Sonderwünsche erfüllen können wie beispielsweise Zwischengrößen oder Einzelanfertigungen, da es sich nicht lohnt, für eine Kopfbedeckung die Maschinen umzurüsten.
Leider gibt es immer mehr billige und schlecht industriell gefertigte Hüte, die unseren Markt überschwemmen, nicht zuletzt auch durch das Internet (aus China oder Bangladesch). Dadurch sind die Produktionswege umweltbelastend zum Beispiel durch den Einsatz von Chemikalien, und die Menschen müssen unter sehr schlechten Bedingungen arbeiten. Materialien und Verarbeitungsweisen sind minderwertig.
Finden Sie, dass es in Deutschland genügend handwerkliche Angebote gibt?
Nein. Gerade Handwerksprodukte und – berufe, die man nicht dringlich braucht, werden immer weniger, weil es immer schwieriger wird, von einem Handwerk zu leben.
Was ist aus Ihrer Sicht das Gegenteil von „Handwerk“?
Der Handwerker ist in der Lage, sein Produkt vom ersten bis zum letzten Schritt selber herzustellen. Das Gegenteil ist: Wenn für die Fertigung eines Produktes sehr vielen Menschen benötigt werden, bei dem jeder Arbeiter einen anderen, aber jeder immer den selben Handgriff erledigt. Wenn Menschen und Länder ausgebeutet werden, um billige Produkte herzustellen und einige Wenige reich zu machen.
Wünsche und Behauptungen….
Ich wünsche mir, dass der Hut in der Gesellschaft wieder einen größeren Stellenwert bekommt.
Ich habe meine Ausbildung zwar schon in einer Zeit gemacht, in der Hüte immer weniger getragen wurden. Die Faszination der Frauen für Hüte ist aber geblieben. Ganz aufgeregt probieren sie die Modelle und bewundern sich im Spiegel. Wenn alle Frauen Hüte tragen würden, die zu mir sagen:“ Hach, ich würde ja so gerne Hüte tragen, aber ich trau mich nicht.“ (deshalb auch mein zweideutiger Firmenname Behauptungen) dann wäre das Straßenbild voller Menschen mit Hüten.
Lieblingszitat
Ich mag Hüte, die man mit einem Augenzwinkern trägt. Deshalb habe ich für mich ein Zitat von Vivian Westwood abgewandelt: „Mode braucht Ironie, meine Hüte bringen mich manchmal selbst zum Lachen.“ Sie sprach dabei zwar von Kleidern, für mich funktioniert das aber auch mit Hüten gut.
Vielen Dank, Bea Kahl!
Mehr Porträts kreativer Handwerker/innen finden Sie übrigens hier.
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