Es gibt Bereiche des Handwerks, da ändern sich Dinge schneller, heftiger als in anderen…. Sicher gehört das typografische Handwerk dazu. Und da diese Entwicklung viel mit technischen Neuerungen zu tun hat, die nur aufwändig zu erklären wären, will ich versuchen, die Umwälzungen anhand der Stimmen von Menschen auf den Punkt zu bringen, die sich ihr Leben lang mit Schriftgestaltung beschäftigt haben. Und grad jene, die die – nach Gutenberg – größte Umwälzung von Schrift, Schriftgestaltung und Schriftreproduktion, nämlich die von Papier zu PC, mitgemacht haben, sterben. Jetzt und schon seit einiger Zeit.
Bleiletter, Schriftguß, Fotosatz
Günter Gerhard Lange brachte das Dramatische dieser Entwicklung im Typografie-Handwerk auf den Punkt: „Eine Bleiletter in den Händen zu halten und deren Punzen zu fühlen – das wäre eine Therapie für euch tastaturgläubigen Bildschirmglotzer!“ schrie der 2008 Gestorbene provozierend allen Nerds in die Ohren. Denen man oft genug erst einmal erklären muss, dass keine Schrift vom Himmel fällt. Oder direkt aus Programmiercode generiert werden kann. Oder doch? Ich weiß es nicht. Die Schriften, die ich kenne, sind jedenfalls von Menschenhand gemacht. Jede ein kleines Kunstwerk. Nein, nicht „die Schrift“, sondern: jeder Buchstabe ein Kunstwerk, aufrecht oder geneigt – also kursiv -, in Kapitälchen, mit Versalien…. Was das alles ist? Das Glossar der Texthandwerkerin hilft.
Günter Gerhard Lange hatte 1950 seinen ersten Job in der H. Berthold Schriftgießerei und Messinglinienfabrik AG in Berlin, wo er mit der „Arena“ seine erste Schriftgußtype entwarf. Schriftguß also. Er blieb bei Berthold und trieb 1958 mit der Entwicklung der „Diatype“ die Drucktechnik der jetzt angesagten Fotosatzsysteme voran. Acht Jahre nur – und schon wieder ein neues Schriftsatzsystem – bei dem es natürlich nicht blieb….
Lange war Schrift-Enthusiast. Und vergaß nie, dass Schriften ihre eigene Geschichte haben. Er arbeitete sie für die moderne Technik auf, vom Blei- zum Fotosatz: historische, fast vergessene Schriften etwa die von Claude Garamond oder Giambattista Bodoni. Garamond lebte 1498 bis 1561, Bodoni 1740 bis 1813. Und die Schriften beider Künstler sind noch heute im Repertoire eigentlich aller Menschen zu finden, die etwas mit bedrucktem Papier zu tun haben.
Auch Steve Jobs kannte den Wert guter Typografie
Ein wirklich einflußreicher Schriftentwickler mit ebenso langer Lebens- wie Wirkgeschichte war Hermann Zapf. Er starb mit 97 Jahren im Juni 2015. Auch er hat vom Hand- über den Maschinensatz mit Bleilettern bis zum Foto- und Lichtsatz und für die Digitaltechniken Schriften entwickelt, prägte maßgeblich Drucktechnik und Produkte der Firma Linotype – die Erfinder einer Setzmaschine zählen zu den bedeutendsten Schriftbibliotheken weltweit. Noch im Alter von über 70 Jahren hielt Zapf im ewigen Wettlauf zwischen Design und Technik nicht inne: Mit der „Zapfino“ hat er eine digitale Schrift entworfen, die am PC Kalligrafie möglich machte – ein ziemlich genialer Entwurf, von dem Steve Jobs so begeistert war, dass er die Schrift sofort für apple lizensierte. „Zapf hat die Transformation der werthaltigen Kommunikation von der analogen Gutenberg-Galaxis in die digitale Wissensgesellschaft wie kein anderer geprägt“, so steht es im Nachruf von Linotype.
Design, Grafik und Leidenschaft
Ein andrer großer Schriftgestalter war der September 2015 verstorbene Schweizer Adrian Frutiger. Sein Kollege und Landsmann Fredy Weber sagt in der „Solothurner Woche“ über ihn: Seine „Schriften waren revolutionär. Er hat akkurat genau von Hand gezeichnet, Design und Grafik perfekt miteinander verbunden. Helvetica, Univers und Fruttiger, diese Schriften haben uns einen neuen Horizont eröffnet.“ Was sicher richtig ist. Mit von Frutiger entwickelten Schriften schafften sich zahlreiche Unternehmen und Institutionen ihre Aura, strahlten Beständigkeit und Wiedererkennbarkeit aus. Das haben die Frutiger-Schriften mit denen vieler Kollegen des Schweizer Typografen gemeinsam. Auch dies: „Aura“ und Wiedererkennbarkeit sind wichtige Ergebnisse der Arbeit von Schrift-Handwerkern – vom Mittelalter bis heute, und ungeachtet aller technischer Änderungen.
Dazu noch einmal G. G. Lange: „Ein guter Typograph, Graphiker oder Designer muss mit Leib und Seele, einem Übermaß an Begeisterung und Interesse bei der Sache sein. Nur mit Leidenschaft kommt man wie in der Liebe, im gesamten Leben oder beim Lernen, so auch im Design weiter.“ Quelle: W. Beinert
Text und Foto: Maria Al-Mana, die Texthandwerkerin
www.texthandwerkerin.de
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